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!UPDATE! Focus auf Foco. Ver-fahren seit 23 Jahren

Tibor Foco. Motorradrennfahrer, Verdächtiger, Justizflüchtling. Ein Mord im Linzer Rotlichtmilieu. Eine neue – alte – Geschichte über Sex and Crime, Zuhälter und Callgirls.

„Tibor Foco und Hans-Peter L. werden mit Urteil des Landesgerichtes Linz des Verbrechens des Mordes nach § 75 StGB an der Prostituierten Elfriede H. schuldig erkannt. Tibor Foco wird zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Hans-Peter L. zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren“, verliest Richter Dr. K. am späten Abend des 31. März 1987. Die mitangeklagte Regina U., Callgirl und Ex-Freundin Focos, wird mit sieben zu einer Geschworenenstimme freigesprochen.

Der spektakuläre Indizienprozess ist nach fünf Wochen zu Ende. Für den Staatsanwalt. Für den Richter. Für die Anwälte. Für die Geschworenen. Für die Angeklagten. Für Christine und Theodor Foco, die Eltern von Tibor. Die Akten werden abgelegt. Recht und Ordnung haben gesiegt.

Die Causa ist erledigt. Ende. Und gleichzeitig Anfang eines verworrenen und verwirrenden Kriminalfalles, der heuer ins 24. Jahr geht.

„Mit diesen Gedanken leben zu müssen ist unvorstellbar“ steht in dem Brief an Justizminister Egmont Foregger, datiert vom 12. April 1989. Unterzeichnet von allen Geschworenen des Prozesses gegen Foco, L. und U. „Wir haben uns geirrt“, so die Geschworenen, geplagt von Gewissensqualen. Eine Strafanzeige gegen Richter Dr. K. wird aber von der Staatsanwaltschaft zurückgelegt. „Zivilcourage, Intuition und vielleicht auch ein bisschen Emotion können viel Leid verhindern, lindern, die Welt ein bisschen ändern, zumindest die eigene. Wenn ich irgendwas zum Positiven für Tibor Foco beitragen könnte, dann würde ich es auch heute tun“, sagt Manfred P. im April 2008. Er ist der Geschworene, der als Erster an die Öffentlichkeit gegangen ist.

1992 wird der angebliche Komplize Hans-Peter L. in einem neuen Verfahren freigesprochen. Das Urteil bezüglich Tibor Foco wird in Rechtskraft belassen. Die „Kronzeugin“ Regina U. widerruft ihre Zeugenaussage, sie gibt an, von den vernehmenden Kriminalbeamten genötigt und gefoltert worden zu sein. Ihre Vorwürfe werden durch amtsärztliche Befunde und Gutachten belegt.

In der Haft beginnt Tibor Foco ein Jusstudium an der Universität Linz. Er ist dort gleichzeitig Student und Mandant des Strafrechtsdozenten Dr. Herbert W. Mehrmals werden Focos Anträge auf eine Wiederaufnahme des Verfahrens abgelehnt. Zweimal von Dr. K., der den ersten Prozess als Richter geleitet hatte. Als im März ein weiterer Antrag abgelehnt wird, flieht Tibor Foco am 27. April 1995 bei einem Studienausgang.

Theodor Foco, der Vater des Flüchtigen, damals 92 Jahre, war in einem ORF-Interview überzeugt: „Das Beste war ganz sicher die Flucht von unserem Sohn.“ Die Eltern waren maßgeblich daran beteiligt und wurden zu Geldstrafen verurteilt. Nach jahrelangen Bemühungen um Rehabilitierung ihres Sohnes hat Christine Foco resigniert, das Schicksal akzeptiert. Der Vater hat in seiner Linzer Wohnung ein Aktenarchiv angelegt. Er hat für seinen Sohn gekämpft.

Der Justizkrimi geht weiter, denn am 27. Februar 1997 hebt das Oberlandesgericht Linz das Urteil gegen Tibor Foco auf. Gleichzeitig beantragt die Staatsanwaltschaft einen neuerlichen Haftbefehl. Obwohl Foco seit April 1995 auf der Flucht ist und einmal in Ungarn, dann wieder in Südafrika vermutet wird, sind Formalgründe für den Haftbefehl „Fluchtgefahr“ und „dringender Tatverdacht“ – es gilt die Unschuldsvermutung.

Ungereimtheiten und Widersprüche wie diese zeigt die Charta 97, ein „Verein zur Wahrung der Menschenrechte“, auf. Obmann Peter Römer, Journalist aus Linz, hat in den vergangenen 23 Jahren an die hundert parlamentarische Anfragen angeregt, zum überwiegenden Teil auch formuliert. Eingebracht wurden die Anfragen unter anderem von Helmut Kukacka (ÖVP), Helene Partik-Pablé (FPÖ) und Gabriele Moser (Die Grünen). „Die Beantwortungen hatten eines gemeinsam, sie waren keine Antworten“, sagt Peter Römer. Seiner Meinung nach öffnen Dummheit, Nichtstun, Bequemlichkeit und Indolenz im Bereich der Justiz und Gerichtsbarkeit dem Missbrauch Tür und Tor. Jede Macht braucht auch Kontrolle.

Im Jahr 2000 kommt es erneut zur Mordanklage gegen den flüchtigen Tibor Foco, danach bricht der Staatsanwalt das Verfahren ab, weil Foco nicht da und daher ein Verfahren nicht möglich sei. 2005 sicherte Justizministerin Karin Gastinger Tibor Foco „Freies Geleit“ zu. Für Foco zu unsicher, um sich einem neuen Geschworenenprozess zu stellen, das Verfahren bleibt abgebrochen. Die weltweite Fahndung läuft. Oberstleutnant Helmut Reinmüller, Leiter der Zielfahndung des Bundeskriminalamtes: „Der Fall bleibt so lange bei uns, bis er gelöst ist oder ungelöst bleibt.“

Ein widerrufenes Geständnis, Foltervorwürfe gegen Polizeibeamte, verschwundene Beweisstücke; ein Polizist, der die Tatwaffe vor dem Obduzenten kennt; der Lebensgefährte des Mordopfers, der Begünstigter ihrer Lebensversicherung ist; ein ermittelnder Beamter, der Focos Ex-Frau Eva heiratet; ein Polizist, der angeblich Selbstmord begeht; DNA-Spuren, die nicht vom mutmaßlichen Täter stammen und nicht beachtet werden; ein und derselbe Richter, der das Urteil fällt und die Wiederaufnahme des Verfahrens mehrmals ablehnt – all das stammt nicht aus der Feder eines zweitklassigen Drehbuchautors. Das sind Fakten eines der spektakulärsten Fälle der österreichischen Kriminal- und Justizgeschichte – meiner Meinung nach eher kein Ruhmesblatt für Justiz und Polizei.

Link BM.I – Bundeskriminalamt – Fahndung – Tibor Foco:
www.bmi.gv.at/cms/BK/fahndung/most_wanted/foco_tibor/Foco_Sachverhalt.aspx

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